Direkt zum Hauptbereich

Ein Klagelied

Die Musterfeststellungsklage könnte für viel Betroffene im Dieselskandal die Wende bringen, es wird auch Zeit, findet Frederic Beck.

Ein Albtraum ist es für die Wirtschaft, ein Wunschtraum für Verbraucher*innenschützer: die Musterfeststellungsklage, welche seit November in Deutschland möglich ist. Schon eine Dekade kämpft DIE LINKE gemeinsam mit diversen Verbraucher*innenschutzorganisationen für dieses kollektive Instrument, um Rechtsansprüche geltend zu machen. Konkret geht es darum, dass anerkannte Organisationen, wie z.B. die Verbraucherzentralen, stellvertretend für alle Betroffenen, welche sich in ein Klageregister beim Bundesministerium für Justiz eintragen, etwaige Ansprüche vor Gericht geltend machen können, ohne dass für die Beteiligten ein finanzielles Risiko entsteht. 
OLG Braunschweig: mehr Aktenmeter als Raummeter
Hierin liegt auch einer der großen Vorteile dieses neuen, für die Durchsetzung von Konsument*innenrechten bahnbrechenden Mittels. Es bietet vielen Menschen, die ohne Rechtschutzversicherung oder nur mit  geringen monetären und zeitlichen Ressourcen klarkommen müssen, die Möglichkeit aktiv ihre Ansprüche einzufordern, ohne die Angst am Ende gegen einen übermächtigen Konzern zu verlieren und am Ende mit weniger als Nichts dazustehen. 
Brisanz gewinnt das neue Gesetz, welches in für die Regierung rekordverdächtigem Tempo von Justizministerin Barley (SPD) durchgeboxt wurde, vor allem deshalb, weil die Geprellten im VW-Abgasskandal bereits seit Jahren darauf warten, endlich auf dieses Mittel zurückgreifen zu können, denn bisher hat VW nicht einen Cent locker gemacht, um seine Kund*innen zu entschädigen. Schuld daran ist auch die Politik, welche sich trotz Kritik, vor allem auch von DER LINKEN, vehement weigert, die Autokonzerne zu verpflichten Geld für den Betrug an ihren Fahrzeugkäufer*innen zu bezahlen. Die Volkswagen AG hat bisher noch nicht einmal eingestanden überhaupt illegale Maßnahmen an den Abgasregulatoren ihrer Fahrzeuge vorgenommen zu haben, man habe den Bescheid des KBA nur aus Kulanzgründen akzeptiert. Ein Skandal, wie auch Cornelia Ernst (MdEP, DIE LINKE) findet: „Am Ende büßen all jene, die am wenigsten für die Misere der Hersteller können, indem sie nicht mehr in Innenstädte einfahren können, ihre Fahrzeuge massiv an Wert verlieren und das Vertrauen endgültig verloren geht.“.
hat ein Problem mit der MFK: VDA-Chef Mattes

Bisher stehen deutschlandweit 2,5 Millionen zurückgerufenen KFZ (nur von VW), denen ein bloßes Softwareupdate überbeholfen wurde, lediglich 27000 anhängige Verfahren gegenüber, in welchen betrogene Kund*innen Schadensersatz fordern. Die wenigsten davon sind Einzelklagen, viele haben sich Firmen angeschlossen, die Klagen sammeln und dann gebündelt als „Einzelperson“ die Ansprüche durchzusetzen versuchen. Dahinter steckt aber nicht Gutherzigkeit, sondern das Bewusstsein, bei Erflog des Prozesses 35% der Schadenersatzsumme als Provision einbehalten zu können. Hier offenbart sich ein weiteres Mal die ganze Paradoxie, wonach nun andere Unternehmen aus dem Leid der Betroffenen auch noch Kapital schlagen können.
Trotz des Meilensteins, der mit der Umsetzung des Musterfeststellungsverfahrens erreicht wurde, bleiben einige Sorgen bestehen. So hat zwar der Bundesverband deutscher Verbraucherzentralen noch in der Nacht des Inkrafttretens des neuen Gesetztes Klage gegen VW wegen vorsätzlichem und sittenwidrigem Betrug beim OLG Braunschweig eingereicht, doch drängt die Zeit, denn schon Ende des Jahres laufen die Verjährungsfristen ab. VW wird sich nun sicher bis zur höchsten Instanz prozessieren, um festzustellen, ob die eingereichte Klage überhaupt zulässig ist. Sollte es schnell genug gehen, so dass der Prozess vor Ablauf eröffnet werden kann, könnte es weitere fünf Jahre bis zu einem Urteil in diesem komplexen Fall dauern. Am Ende des Verfahrens haben die Fahrzeuge wahrscheinlich schon so viel an Wert verloren, dass der dem Schadensersatz gegenzurechnende Abnutzungswert die Schadensersatzsumme sogar übersteigen könnte, damit wäre alle Mühe hinfällig. Außerdem wird nach dem allgemeinen Urteil wohl noch einmal in jedem Fall individuell entschieden werden müssen, dann aber immerhin auf Basis eines ersten mustergültigen Urteils.

Quellen: "DIE Klage", LVZ 2.1..18, T. Eleven; Fotos: Von User:Alkibiades - Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1079871; http://www.vzbv.de/start/download.php?ordner=mediapics&file=vzbv_imagebroschuere_kurz.pdf, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12644684

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Luft rauslassen

Die Automobile Welt in der Post-Corona-Zeit oder doch noch mittendrin. Mit jedem einzelnen der 5400 Beschäftigten, geht das Leipziger BMW-Werk wieder an den Start. Bilder wie beim Fleischverwurster Tönnies will die Betriebsleitung hier unbedingt vermeiden. Deshalb setzt der Chef des sächsischen Werkes auf umfangreiche Schutzmaßnahmen, so etwa 100 Meter Plexiglasscheiben, die sich über das gesamte Werk verteilen. Dazu kommen ein verkürztes Zwei-Schicht-System und ausreichend Abstand zwischen den Mitarbeitenden. Das hat zur Folge, dass im Moment statt den üblichen über 1000 Fahrzeugen nur 650 vom Band rollen. Die wirkliche Ursache liegt jedoch nicht in den Hygieneregeln, sondern darin begründet, dass der Absatz bei BMW um die Hälfte eingebrochen ist und das weltweit. Wann es wieder bergauf geht, kann noch nicht gesagt werden. Es hängt sicher auch von der Wirksamkeit des von der Bundesregierung beschlossenen Elektroauto-Konjunkturpakets ab.  BMW in Leipzig: Jetzt wieder mit ...

Kauflaune im Schneckentempo

Die Autoverkäufer*innen in der Krise. Auch die Autohäuser dürfen dieser Tage ihre Pforten wieder öffnen. Doch bloß, weil jetzt wieder Wagen vom Hof rollen können, heißt das nicht, dass auch die Kundschaft den Weg in die Verkaufsräume findet. Die Absatzzahlen der Händler*innen brachen in den letzten Monaten um bis zu drei Viertel ein. Viele Unternehmer*innen sahen ihre Liquiditätsreserven sukzessive dahinschmelzen. Wer nicht gut vorgesorgt hatte, dem blieben nur ein Kredit oder die Insolvenz.  Eine Abwrackprämie, wie sie bereits vielfach von der Autolobby bei Geheimgesprächen im Kanzlerinnenamt gefordert wurden, lehnen die Autoverkäufer*innen jedoch kategorisch ab. Sie haben bereits nach der ersten Zahlung dieser Art im Zuge der Finanzkrise 2009 schlechte Erfahrungen machen müssen. So bezeichnet ein Leipziger Autohausbesitzer die Abwrackprämie als „den größten Blödsinn“. Damals hätten sich alle einen Neuwagen zugelegt und danach wäre absolute Flaute gewesen. Stehen, dami...

Wie sauber darf es sein?

Während die Erderwärmung voranschreitet, streiten Expert*innen noch immer über die richtige Antriebsart als Antwort darauf Hätte Rudolf Diesel seinerzeit gewusst, welches Explosionspotenzial in seinem Selbstzünder steckt, er hätte sich dessen Entwicklung wohl zweimal überlegt. Dass die Tage des Dieselmotoren über kurz oder lang gezählt sind, dürfte mittlerweile jeder*m klar geworden sein. Natürlich, seine Energiedichte ist hervorragend und so schlägt er den Benziner bei Abgaswerten um Längen. Wären da nicht die Stickoxide, denen zwar mit chemischen Katalysatoren ein bisschen Volumen genommen werden kann, deren Bändigung aber auch entsprechend teuer ist. Die Grenzwerte geben eine Weiterentwicklung der Technologie langsam nicht mehr her und so bleibt nur, sich um eine Alternative zu bemühen. Einer der ersten Hybridwagen von Porsche  Ganz vorne im Rennen um die Technologie der Zukunft, bewegen sich die klassischen Elektroautos. Sie gibt es heute schon Serie und dank des ID....