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Aufstand im Dieselland

Es regt sich Protest in der Bevölkerung - gegen Dieselfahrverbote, aber eigentlich steckt viel mehr dahinter


Keimzelle des Aufstandes ist die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart. Welcher Ort würde auch näher liegen, als dieses Zentrum der deutschen Automobilindustrie, wo sich seit Jahr und Tag Firmen wie Daimler, Bosch und Porsche ein Stelldichein geben. Viele Menschen arbeiten und leben für diese Betriebe, so auch der Initiator der ersten Pro-Diesel-Demonstration in der Bundesrepublik, Ioannis Sakkaros. Alles nahm seinen Anfang mit einer Facebook-Gruppe, wie so oft bei etwaigen Protestformationen der vergangenen Jahre. Diese Plattform diente dem 26-jährigen auch als Mobilisierungspunkt für seine erste Demo, welche im Januar mit 250 Teilnehmer*innen an den Start ging, immerhin mehr, als die avisierten 50 und auch in den folgenden Wochen konnte der junge KFZ-Mechatroniker die Mitprotestler*innen-Zahl kontinuierlich steigern. Nun treffen sich immer Samstags um die 1000 Dieselanhänger*innen, um gegen Fahrverbote in ihrer Stadt zu demonstrieren. 
Automecka: Daimlerzentrale
Sakkaros meint, dass sich die Prohibition gegen die Schwächsten richten würde und man diese "von heute auf morgen enteignen" täte. Mit seinen Äußerungen hat er nicht ganz unrecht, so sind die Diesel-Fahrverbote doch der ideale Kristallisationspunkt, mit welchem sich eindeutig zeigt, dass die normalen, rechtschaffenen Bürger*innen die Versäumnisse der Upper-class, namentlich der Autoindustrie und der in Berlin Regierenden, ausbaden müssen und sich nun zu Recht Unmut regt. Allerdings richtet sich dieser gegen das falsche Feindbild. Nicht die Umwelt muss jetzt dran glauben, sondern die herrschende Klasse, welche sich Dank Tricksereien zu Milliardengewinnen geführt hat und gleichzeitig billigend in Kauf nahm, dass die Luft in deutschen Städten immer schlechter, statt besser wurde, denn die Fahrzeuge emittierten deutlich mehr, als sie es eigentlich hätten sollen. 
Wie nun aber mit den Demonstrationen der genervten Euro4-Diesel-Bestizer umgehen? CDU, FDP und Freie Wähler führen inzwischen selbst Anti-Fahrverbotskundgebungen durch und auch die AfD versucht in dieses vielversprechende Boot einzusteigen. Die Organisatoren der Stuttgarter Demos berichten, dass die Alternative für Deutschland ihnen bereits Unterstützung angeboten hätte, allerdings sehen sich die Streikenden als überparteilich und gemäßigt an. Oft muss der griechische Staatsbürger Sakkaros, bisher selbst unpolitisch, nun aber nicht abgeneigt auch zur nächsten Wahl anzutreten (für wen weiß er noch nicht) seine Anhänger*innenschaft aber zur Ruhe ermahnen, Schimpfworte und Äußerungen wie "Lügenpresse" sind ihm zu wieder. Die Politik hat auch deshalb ein Auge auf die Gruppe geworfen, die bereits in anderen Städten, wie etwa jüngst in München, unter Initiative der Organisation "Mobil in Deutschland", Nachahmer*innen findet, weil sie Parallelen zu den Gelbwesten-Protesten bei unseren französischen Nachbar*innen aufweist. In Paris entzündetet sich der Streit, welcher sich mittlerweile zu einer handfesten nationalen Krise ausgeweitet hat, auch an ähnlichen Maßnahmen, dort betraf es die Erhöhung der Benzinsteuer. Im Hinblick auf die anstehenden Kommunalwahlen sind alle Parteien bemüht, einen offenen Umgang mit den Unzufriedenen zu finden, schließlich geht es um die Machterhaltung, oder Gewinnung der lokalen Parlamente. Wie sich die Bewegung entwickeln wird ist noch nicht abzusehen, Einigkeit herrscht aber darin, dass sie zumindest solange nicht verschwinden wird, bis die Problematik aus der Welt geschafft ist, egal ob mit 50 oder 1000 Mitstreiter*innen. 
sechsspurig wie das Neckartor: Pragsattel Stuttgart
Auch DIE LINKE wird sich im Rahmen ihres Kampfes für soziale Gerechtigkeit weitere Gedanken über den Umgang mit Diesel-Fahrverboten machen müssen, welche nun auch in weiteren Städten kommen oder drohen. Den Menschen muss vermittelt werden, wer tatsächlich Schuld hat und wie eine soziale und ökologische Wende ohne Verluste für die Armen und die Mittelschicht von statten gehen kann. Nur gemeinsam ist dies zu stemmen, dass die Menschen nun an einem Strang zu ziehen scheinen, kann auch ein erster Schritt sein, fragt sich nur in welche Richtung er geht.



Quellen: "Die Hup-Bürger", T. Fuchs, LVZ, 9./10.2.19; Fotos: Von Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird Enslin als Autor angenommen (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben). - Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird angenommen, dass es sich um ein eigenes Werk handelt (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben)., CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=396012; Von ​German Wikipedia Benutzer Bigcat, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4148519

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