Die Musterfeststellungsklage läuft seit dieser Woche in Braunschweig - für VW könnte dies das Ende bedeuten
Eine knappe halbe Millionen Menschen, mehr als Island Einwohner*innen hat, haben sich der ersten Musterfeststellungsklage in der Geschichte der Bundesrepublik angeschlossen. Diese wird seit dieser Woche in Niedersachsen, genauer am Oberlandesgericht Braunschweig verhandelt. Dort wo schon so viele Verfahren gegen den weltweit größten Autobauer gelaufen sind. Doch die Dimensionen waren andere, die Schadenssummen geringer und die Klagenden zahlenmäßig deutlich weniger, auch wenn deren Zahl bereits in die Zehntausenden geht. Da ist die Hausnummer, welche der 4. Zivilsenat unter der Leitung von Richter Michael Neef nun zu bewältigen hat jedoch eine etwas andere.
Schicksalsort: Stadthalle Braunschweig |
Optimistische Stimmen hoffen auf ein Ende des Verfahrens schon im kommenden Jahr. Danach wird der Fall mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit an den Bundesgerichtshof weitergegeben, da die Verliererseite wohl nicht mit dem Ergebnis d´accord gehen wird. Der BGH soll dann schon ein Jahr später ein letztgültiges Urteil fällen. Allerdings ist dies dann nur ein grober Referenzrahmen und regelt keinesfalls - im Erfolgsfall für die Kläger*innenseite - den Schadensersatz für alle 469.000 Betroffenen, die sich an dem Mammutverfahren beteiligen. Dieser müsste dann individuell, wie schon in mannigfaltigen Sachverhalten zuvor, an den zuständigen Amts- und Landesgerichten der Länder geklärt werden. Sollte es keinen Vergleich zwischen Volkswagen und den durch den Bundesverband der Verbraucherzentralen vertretenen Kläger*innen geben, könnten also noch abertausende Prozesse auf die Gerichte der Republik zurollen. Dass es zu einem Vergleichsangebot kommen könnte ist zudem äußerst unwahrscheinlich, schließlich bewegen sich die Vorstellungen der beiden Streitparteien zwischen 1000 Euro und 26.000 Euro. Ersteres haben die Wolfsburger gerade in Australien an Betroffene gezahlt und damit einen Prozessmarathon wie in Deutschland verhindert. 26.000 Euro ist in etwa der Neupreis für den durchschnittlichen Wagen mit dem Motor EA189, welcher mit der Schummelsoftware präpariert war und den ADAC und Verbraucherzentralen fordern. Dies mit den 10 Millionen betroffenen Autos multipliziert ergebe den finanziellen Ruin für den einst so stolzen Autobauer. Am Ende könnte sich die Entschädigungssumme irgendwo dazwischen oszillieren. Wahrscheinlich ist der Abzug von Abnutzungskosten der PKW, abhängig von Parametern wie Alter und gefahrene Kilometer.
Schon jetzt ist der gesamte Prozess ein finanzieller und organisatorischer Akt, selbst für den juristisch erfahrenen Aktienkonzern. Die Verbraucher*innen hingegen mussten sich ohne Risiko und Verbindlichkeit Dank der letztes Jahr implementierten Musterklage nur in ein Register beim Bundesministerium für Justiz eintragen. Um diesen Akt herum hat sich eine riesige Klageindustrie entwickelt, Kanzleien die sich auf Verbraucher*innenrecht spezialisiert haben, Onlineportale die sich für die Klageregistrierung ein Domain gesichert haben oder Anwälte die bereits jetzt hunderte Fälle vor Gericht vertreten.
Stammsitz in Wolfsburg bald zu vermieten? |
Wie auch immer am Ende das Urteil lauten sollte, es wird der Lackmustest für das neue Klageinstrument, dass die Anklage von Konzernen durch Verbraucher*innenverbände, die dann stellvertretend für die Betroffenen agieren, in Zukunft deutlich vereinfachen soll und es wird den Weg aufzeigen, den VW in den kommenden Jahren nehmen wird, ob in den Abgrund oder nach oben. Noch ist es einigermaßen ruhig in der Braunschweiger Stadthalle, doch die Medien sind heiß auf die ersten Prozesstage, fürs Image des Konzerns bedeutet das schon jetzt erheblichen Schaden.
Quellen: "Der Ernst der Klage", S. Winter, LVZ 30.9.19; Fotos: Von Dguendel - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=29193399; Von Vanellus Foto - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=33211914
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