Die großen Arbeitnehmer*innenorganisationen in der Autobranche verlieren zunehmend die Bodenhaftung und damit ihre Legitimation
In Deutschland wird schon seit geraumer Zeit die grassierende Tarifflucht der Unternehmen und der geringe Organisationsgrad der Arbeitnehmer*innen in den Betrieben kritisiert. Gerade im Osten der Republik sind weit weniger als 50 Prozent aller Angestellten überhaupt in einem tarifgebundenen Unternehmen beschäftigt. Ganz anders gestaltet sich die Lage hingegen bei den großen Autobauern, bzw. in der Automobilbranche generell. Wer kennt nicht den berüchtigten Betriebsratsvorsitzenden von Volkswagen Bernd Osterloh, der schon bei so mancher Unternehmensentscheidung seine Finger im Spiel hatte. Auch sitzen die Vertreter*innen der Arbeitnehmer*innen in den Aufsichtsräten und haben zig hunderte Vertrauensleute in den Produktionsstätten, welche Missstände an den Betriebsrat weitergeben. Dieser wird mehrheitlich von der IG Metall besetzt, der zugleich größten Einzelgewerkschaft in Deutschland mit mehreren Millionen Mitgliedern.
Machtzentrale: Verwaltungssitz der IG-Metall in Frankfurt am Main |
Doch diese schiere Machtfülle hat nicht immer positive Auswirkungen für all jene, die eigentlich von der gewerkschaftlichen Arbeit profitieren sollten. Ein bekanntes Negativbeispiel ist etwa der vor einigen Jahren ans Licht der Öffentlichkeit gedrungene Skandal bei VW. Damals hatten sich mehrere Betriebsratsmitglieder bei Poolpartys im Swingerclub, auf Kosten der Beiträge der Mitglieder und der durch das Unternehmen als Ausgleichszahlung ausgeschütteten Entschädigungen für die Arbeit im Betriebsrat, vergnügt.
Oft sind es auch unabhängige Mitglieder oder kleine Listen, in solchen Gremien, denen die Arbeit durch die IG Metall erschwert wird. Diese hätte, so kann man den Eindruck gewinnen, oft gerne die alleinige Macht und es geht ihr mehr um den Einflusserhalt, als die Interessen derer, die sie vertreten soll. Bei Ergebnissen jenseits der 80 Prozent kann man* schon einmal absolutistische Fantasien bekommen. So sitzt der BMW-Betriebsratschef Manfred Schoch schon seit mehr als 30 Jahren auf seinem Posten und denkt gar nicht daran, einen Generationswechsel anzustreben. So verschwimmen die Grenzen zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmer*innenvertretrung zusehendes. Schoch wurde schon von Kolleg*innen dazu aufgefordert sein Gehalt offenzulegen, weigert sich aber beharrlich.
Lacht gerne: BMW-Betriebsrats- chef Manfred Schoch |
Murat Yilmaz, seit 2010 Mitglied im Betriebsrat am Münchner BMW-Konzernsitz und Gründer der unabhängigen Gewerkschaft "Social Peace" vermutete, dass dem 63-jährigen gesetzwidrig deutlich mehr gezahlt wird, als ihm eigentlich zustünde. Denn dort heißt es, dass Mitglieder des Betriebsrates, die von ihrer eigentlichen Tätigkeit freigestellt sind, nicht mehr Geld erhalten dürfen, als ihn für ebendiese zustünde. Yilmaz selbst hat seine Vergütung im gleichen Atemzug offengelegt und will damit Vorreiter sein. Auch sonst ist er sich für eine Konfrontation mit den Altvorderen der IG Metall nicht zu schade und ruft regelmäßig die Compliance Abteilung seines Unternehmens auf den Plan, die Unstimmigkeiten innerbetrieblich klären soll. So erst kürzlich, als man ihm anbot, Stimmen für die kommende Betriebsratswahl zu kaufen. Wegen seiner aufmüpfigen Art wurde ihm schon häufiger mit Kündigung gedroht und Schoch selbst sagte einst über ihn "Um die Aufgabe eines Betriebsrats zu erfüllen, braucht man eine gewisse Qualität, ich würde einen türkischen Taxifahrer nicht wählen.".
In Zukunft sollten die großen Arbeitnehmer*innenorganisationen von Verdi bis IG EBC ihre eigene Arbeitsweise massiv überdenken und die Zeit nach dem Patriarchat in den eigenen Reihen einläuten. Gerade vor dem Hintergrund, dass zunehmend rechte Listen bei Betriebsratswahlen antreten und Plätze in den Aufsichtsräten besetzen. Anstatt in den großen Konzernzentralen zu dinieren, wäre es wohl an der Zeit, sich wieder mehr an die Basis zu begeben, da wo gewerkschaftliches Engagement wirklich Kraft raubt.
Quelle: "Auf verlorenem Posten", C. Tatze, DIE ZEIT 21.3.19; Foto: Von I, Dontworry, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2254890; Von Robert Köster Fotografie - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70618682
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